Dieser Schrott ist Gold wert
Längst schon ist die Entsorgung von Altgeräten ein Milliardenmarkt mit riesigen Problemen. Chip.de deckt Missstände beim Recycling auf und sagt Ihnen, wie Sie Ihre alten Geräte richtig entsorgen.
Wochenlang haben Sie sich mit einer einzigen Frage beschäftigt: Welchen PC soll ich kaufen? Jetzt ist er da. Nur die wichtigsten aller Punkte haben Sie vergessen. Wohin mit dem alten Computer? Ein Rätsel, vor dem jedes Jahr Tausende Bundesbürger stehen. Denn die Lebensdauer eines PC`s beträgt im Schnitt nur vier Jahre. Einfach wegschmeissen, das geht nicht. Alte PC`s sind Sondermüll! Oder je nach Perspektive wertvolle Rohstoffe für neue Produkte. Und das macht die Sache zum Milliardengeschäft – mit vielen Problemen.
Die gesetzliche Grundlage in Deutschland ist klar. Seit 2006 gilt das Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten, kurz ElektroG. Es ist die deutsche Umsetzung europäischer Regelungen, die den Umgang mit Altgeräten festlegt. Sondermüll, zu dem auch PC`s und Monitore zählen, müssen die Hersteller auf eigene Kosten recyceln. Laut Zentralverband Elektrotechnik- undElektrotechnikindustrie e.V. (ZVEI) sind das Gesamtausgaben von 350 bis 500 Millionen Euro jährlich. Entsprechend groß sind die Mengen, die bei den kommunalen Sammelstellen landen. Allein 2006 waren es 750000 Tonnen giftiger E-Müll aus diversen Quellen. Jeder deutsche Privathaushalt entsorgt im Schnitt acht Kilogramm Elektroschrott pro Jahr.
Wie viel von den abgegebenen Geräten recycelt wird, ist unklar.Manche Geräte verschwinden ganz einfach und tauchen dann wieder in der Dritten Welt auf. Dort werden sie vielfach unter menschenwürdigen und gesundheitsgefährdenden Bedingungen zerlegt. Oft sind es Kinder, die diese Arbeit verrichten müssen. Sie leiden unter den Giftstoffen, die gerade in vielen Schrottgeräten schlummern. Inzwischen gibt es für Blei, Quecksilber und sechswertiges Chrom strenge Grenzwerte, doch was nützt das bei Alt-Computern?
Altgeräte, wohin mit dem Müll?
In Europa dürfen heute Unternehmen Elektronik verkaufen, die sich an die strengen Vorgaben der EU halten. In Deutschland ist die Stiftung Elektro-Altgeräte-Register (EAR) die zentrale Anlaufstelle. Ob Anmeldung und Genehmigung oder auch Koordination zwischen den Sammelstellen und Recyclinghöfen. Die gesamte Abwicklung findet über die EAR statt. Rund 10000 Hersteller sind dort registriert.
Aber auch den Verbraucher nimmt die EU in die Pflicht. Er kann nicht umhin, seinen gesamten Elektroschrott zu den kommunalen Sammelstellen zu bringen. Große Geräte kann man auch nach Anmeldung zu Sperrmüll stellen oder gegen Gebühr abholen lassen.
Wer seine Altgeräte in den Hausmüll schmeißt, muss mit Strafen rechnen. Angefangen von den harmlosen Verwarnungen über ein Bußgeld bis zum Strafverfahren ist alles drin, was die deutsche Rechtsprechung zu bieten hat. Zumindest theoretisch, denn die Rückverfolgung der Müllsünder ist kaum möglich. Kleingeräte, Energiesparlampen und Batterien landen deshalb regelmäßig im Restmüllcontainer.
Dem wäre nur mit schärferen Kontrollen zu einem besseren Bewusstsein im Umgang mit Elektroschrott beizukommen. Eine Lösung zeichnet sich bisher nicht ab, zumindest nicht aus politischen Lager. Dafür testen Unternehmen bereits Alternativen. Die Deutsche Post etwa versucht es mit Ihrem Konzept „Electroreturn“. Käufer von Kleingeräten erhalten eine portofreie Versandtasche. Damit können sie Ihre kaputten Kleingeräte zurückschicken. Das funktioniert aber nur, wenn die Hersteller mit der Post kooperieren. Vertragspartner seien bereits alle großen Mobilfunker, so Uwe Bensien, Pressesprecher bei der Deutschen Post. Auf dem Markt ist davon allerdings kaum etwas zu sehen.
Viele Geräte funktionieren bei der Abgabe noch einwandfrei. Statt den alten PC zu einer Sammelstelle zu bringen, kann so jeder sogar noch etwas Geld rausschlagen. Vielleicht lagert sogar ein Schatz in Ihrem Keller, denn Liebhaberstücke wie etwa seltene Konsolen oder Kult Rechner sind gefragt. In Online Auktionen bringen alte Computer oft noch gute Preise, besonders in Einzelteilen. Löschen Sie aber vorher alle Dateien restlos von Ihren Datenträgern wie Festplatten und USB-Sticks. Am besten mit einem Tool wie WD Clear, das es bei www.chip.de zum Download gibt. Eine Formatierung der Platte bringt nichts. Irgendwann jedoch landet jedes Gerät einmal auf dem Elektrofriedhof. Aber was alles zählt zu Elektroschrott? Schließlich sind in immer mehr Produkten elektronische Bestandteile zu finden. Gehört also ein Kuscheltier mit integriertem Sprachchip bereits zum Sondermüll?
In einem ähnlichen Fall versuchte die EAR genau dies zu erreichen. Mehr als drei Jahre stritten die Stiftung und adidas um einen Joggingschuh, der in der Sohle einen Elektrochip und einen Motor integriert hat. Erst im Februar dieses Jahres fällte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein klares Urteil. Der Schuh ist ein Bekleidungsstück und kein Elektrogerät. Hätten die Richter anders entschieden, wäre adidas offiziell Elektrohersteller, und zum Recycling verpflichtet. Wenn Sie nicht sicher sind, was zur Sammelstelle gehört. Ist auf Ihrem Gerät eine durchgestrichene Mülltonne aufgedruckt, handelt es sich um Sondermüll.
Die Engpässe beim Verwerten von E-Müll liegen aber nicht beim Endverbraucher. So fühlen sich kleine Hersteller und Importeure durch die Regelung der EAR benachteiligt. Der Grundtenor, die hohen Recyclingkosten stünden nicht im Verhältnis zum Verkaufserlös – Ausnahmeregelungen gibt es nur vereinzelt per Härtefallantrag. Eine zusätzliche Belastung seien die bürokratischen Hürden bei der Recyclingregelung. Laut einer Studie der United Nations University (UNU) muss jeder Hersteller pro Jahr knapp 72 Berichte abliefern. Der Arbeitsaufwand beträgt pro Bericht bis zu acht Stunden.
Für Missmut sorgt auch die Koordination durch die EAR. Anhand eines Berechnungsalgorithmus verteilt sie containerweise Schrott, den die Verwerter recyceln müssen. Die kommunale Sammlung und Übergabe an verschiedene Verwerter ist eine logistische Katastrophe. Besser wäre, wenn eine Kommune fest mit einem Entsorger zusammenarbeitete, meint Dipl. Ing. Christian Hohaus vom Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik. Die Verteilung des Schrotts sei wie eine Lotterie, bei der die Verwerter nie wissen, wann sie was abholen sollen.
Eine weitere Hürde ist das Recycling selbst. Zunächst landen alle Komponenten wie Mainboards, Grafikkarten und CPUs im Schredder. Anschließend werden die Materialien getrennt, um irgendwann wieder in die Produktion neuer Geräte fließen zu können. All das verbraucht Energie, die man durch die Rezyklierung eigentlich sparen will.
Ein Recycling-Unternehmen muss außerdem darauf achten, dass es wirtschaftlich arbeitet. So ist das Aufbereiten von eher wertlosen Stoffen wie Plastik unattraktiv – es lässt sich damit kein Geld verdienen. Anders sieht es bei seltenen Werkstoffen wie Indium, Palladium oder Gold aus, allein der Preis für das seltene Indium ist in den letzten Jahren explodiert. Je höher die Rohstoffpreise sind, desto wertvoller ist auch das Recyclingmaterial, so Dietmar Mormann, Leiter der für Fujitsu Siemens verantwortlichen Recyclinganlage in Paderborn. Edelmetalle seien allerdings nur noch selten darunter. Pro Tonne fallen ein paar wenige hundert Gramm davon an.
Dass Recycling sinnvoll ist, zweifelt kaum jemand an. Die Vorteile liegen klar auf der Hand. Trotz Energieverbrauch reduziert das Verwerten den Abbau neuer Rohstoffe und verhindert, dass Giftstoffe der Altgeräte in den Boden und ins Wasser sickern.
Doch alle Recyclingkonzepte nützen nichts, wenn der Müll nicht eingesammelt wird. Allein 2005 sind in der EU 10,3 Millionen Tonnen E-Schrott angefallen, Tendenz steigend. Laut Greenpeace landen davon nur schlappe 25 Prozent in offiziellen Anlagen. Der Rest verstaubt in Kellern und in Garagen oder wird exportiert. Dabei ist die Ausfuhr von Schrott gesetzlich verboten.
Die Schrottmafia – illegale Exporte
Gesetze sind für die Schmuggler aber kein Hindernis. Die Altgeräte werden erst bei den Recyclinghöfen gewogen und registriert. Auf dem Weg dorthin ist es ein Kinderspiel den E-Schrott unbemerkt zu klauen oder auszuschlachten. In Deutschland nutzen findige Händler auch einen Paragraphen des ElektroG, der unnötiges Recyclen verhindern soll. Funktionsfähige Altgeräte dürfen laut §11 Abs. 1 wiederverwendet werden.
Theoretisch sinnvoll, aber Schmugglerbanden kennzeichnen defekte Geräte als „intakt“ und schleusen sie so etwa nach Afrika und China. Das Problem liegt in der fehlenden Überwachung, sagt Hohaus vom Fraunhofer Institut. Der Schrott werde über den Hamburger Hafen illegal verschifft. Und in den Entwicklungsländern müssen dann oft Kinder die Geräte unter gesundheits- und umweltschädlichen Bedingungen zerlegen. Viele der Kleinen leiden unter Ausschlägen, Atemproblemen und Vergiftungen.
Und auch wenn besonders ältere Produkte noch einen wesentlich gefährlicheren Chemiecocktail und massenweise Schwermetalle enthalten, sind Neugeräte nicht völlig harmlos. Einige Hersteller setzen noch heute mit Weichmachern durchsetztes PVC (Polyvinylchlorid) und andere schädliche Stoffe ein. Auch Mormann von der Fujitsu Siemens Recyclinganlage kennt diese Probleme. Obwohl wir nur wenige Fremdgeräte erhalten, müssen wir Proben von den Materialien nehmen. Manchmal finden wir verbotene Flammschutzmittel.
Kompliziert ist zudem der Umgang mit dem sich ständig wandelnden Elektromarkt. So floss bisher etwa das mit Blei verseuchte Glas der Röhrenmonitore in die Produktion neuer Bildschirme. Durch die LCD/TFT-Technik besteht aber kein Bedarf mehr an dem Material. Momentan geht das Glas etwa nach Indien. Dort wird das Blei-Glas zur Produktion von Fernsehern verwendet, noch! Das nächste Problem steht schon vor der Tür. LCD Bildschirme enthalten giftiges Quecksilber, und effektive Recyclinganlagen dafür gibt es noch nicht.
Ganz anders sieht es bei CD`s und DVD`s aus. Die Datenträger bestehen aus hochwertigem Polycarbonat, das man auch für Lebensmittelverpackungen sowie in der Auto- und Computerindustrie verwendet. Das Recycling ist kinderleicht. Mit geringem Aufwand könnten die Verwerter 99 Prozent wiedergewinnen. Aber, für die Scheiben gibt es keine Abgabepflicht.
Bleibt festzuhalten, die EU-Richtlinien haben positive Effekte. Weniger Giftstoffe in Neugeräten, weniger Schwermetalle, mehr Recycling. Die Probleme sind damit aber längst nicht gelöst. Denn noch mangelt es an einer konsequenten Umsetzung der Vorschriften, an effektiveren Kontrollen und besseren Technologien.
Quelle: Chip.de Heft-Ausgabe 8.2008