Der Kinofilm Große Erwartungen (Originaltitel: Great Expectations)
Filmdauer: 128 Min
Erscheinungsjahr: 2012
Besetzung: Jeremy Irvine (Pip), Ralph Fiennes (Magwitch) Helena Bonham Carter (Miss Havisham), Helena Barlow (junge Estella), Holliday Grainger (erwachsene Estella), Robbie Coltrane (Mr. Jaggers), Sally Hawkins (Mrs. Joe, Pips Schwester), Jason Flemyng (Joe Gargery, Pips Schwager), Sophie Rundle (Clara), Jessie Cave (Biddy), Ewen Bremner (Wemmick), David Walliams (Onkel Pumblechook), Olly Alexander (Herbert Pocket), Malcom Tierney (Mann), Ronnie Fox (Baliff), Nick Bartlett (Baliff 2), Tom Machell (Finch), Harry Kershaw (Finch 2), William Ellis (Compeyson), Nellie Burroughes (Mrs. Compeyson), Richard James (Cousin Raymond), Gary Arthurs (Polizist der Fluss-Polizei), Filippo Delaunay (Ballgast)
Regie: Mike Newell
Filmmusik: Richard Hartley, versch. Interpreten
FSK: 12 J.
Basierend auf dem Klassiker von Charles Dickens „Great Expectations“ wurde „Große Erwartungen“ im Jahr 2012 verfilmt. Charles Dickens ist den meisten von uns hinlänglich (eventuell sogar unbewusst) bekannt, daher verzichten wir hier an dieser Stelle auf Beschreibungen seines Lebenswerks. Die Verfilmung ist jedenfalls tadellos gelungen. In detailgenauen Bildern, die mit Stimmungen und Beleuchtung spielen, wird die Geschichte des Vollwaisen „Pip“ (Philip Pirrip) erzählt, der bei seiner zänkischen aber doch irgendwie liebenswerten Schwester und deren Mann Joe aufwächst. Auf dem Friedhof trifft er auf den geflohenen Sträfling Magwitch (Ralph Fiennes, ein großartiger Schauspieler und wieder einmal äusserst glaubwürdig in den verschiedenen Facetten seiner Darstellung). Angetrieben durch eine Mischung von Angst und Mitleid hilft Pip ihm. In weiterer Folge wird Magwitch jedoch wieder gefangen genommen und deportiert.
Einige Zeit danach entschließt sich die exzentrische und zurückgezogen lebende Miss Havisham (Helena Bonham-Carter, die sich in ausgefallenen Rollen immer wieder profiliert) dazu, wieder einmal einem Kind beim Spielen zuzusehen, um sich dadurch einen Zeitvertreib zu schaffen. Die bei Ihr lebende Estella (Holliday Grainger, eine Art lebendig gewordenes „Porzellan-Püppchen“ – gefällt als junges Mädchen besser als Erwachsene mit zwar hübschem Gesicht aber ohne Emotionen und Ausdruck) beeindruckt Pip vom ersten Augenblick an.
Miss Havisham hat sie jedoch, um sie vor einem ähnlich grausamen und tragischem Schicksal wie dem ihren zu bewahren, im Bewusstsein aufgezogen, keine Gefühle für andere und schon gar nicht Männer zu entwickeln. Dadurch wird den Chancen der Liebe von Pip zu Estella denkbar wenig Platz zur Entfaltung eingeräumt.
Miss Havisham ist Pips Diensten bald überdrüssig, der junge Mann kann dadurch zwar eine Art Basis für sein weiteres Leben aufbauen, ist jedoch bei seinem Schwager Joe, dem Hufschmied, danach unglücklich, weil er sich schon für weitaus mehr interessiert und auch Estella nicht mehr sehen kann. Seine Jugendliebe Clara vermag ihn darüber auch nicht hinweg zu trösten.
Rund 10 Jahre später bekommt Pip durch einen unbekannten Gönner, der anonym bleiben möchte (und von dem er annimmt, daß es sich um Lady Havisham handelt), die Möglichkeit in London zu einem Gentleman ausgebildet zu werden. Dort trifft er auf die unterschiedlichsten Personen und – eingefädelt oder nicht eingefädelt – wieder auf Estella. Die Liebe bleibt jedoch zumindest teils unerwidert, Estella hegt Sympathie für seinen größten Widersacher.
Pips „große Erwartungen“ geraten zusehends ins Wanken, als Magwitch wieder auftaucht und sich die Wahrheit herausstellt. In einem turbulenten Finale wird der Zuseher so wie Pip auch schrittweise daran herangeführt. Man lernt zu verstehen, warum aus der jungen Miss Havisham eine verbitterte Frau wurde, was einen Sträfling zu einem Verbrecher und guten Mann gemacht hat und vieles andere mehr. So wie das Leben auch so manches im Lauf der Zeit zurecht rückt. Charles Dickens war sicherlich ein guter Beobachter und hat vermutlich auch in seinem eigenen Leben sehr viele Einsichten dazu gewonnen…
Ob Pip und Estella doch noch zusammenfinden? Wenn Sie es wissen möchten, sehen Sie sich diesen Film an 😉
PS: Der Film beginnt sozusagen als Märchen, wird dann aber streckenweise zu einer Liebesgeschichte und u.a. auch zu einem Kriminalfilm, bedient also gewissermaßen mehrere Genres. Für diese Verfilmung braucht der Zuseher auf jeden Fall Sitzfleisch. Der Kinofilm hat einige Überlängen, entlohnt jedoch die Mühe mit einem Ausflug gewissermaßen in eine andere Zeitepoche und in andere Leben. Man lebt mit den Protagonisten mit, wenn man sich tatsächlich darauf einlassen möchte und erfährt auch so einiges über die reale Welt, wie sie einmal war. Nicht alles war in der „guten alten Zeit“ wirklich so gut, vor allem die oftmals kärglichen Lebensbedingungen, die sanitären Missstände in Großstädten wie London usw. Romantik diente vermutlich (wie heute auch) dazu, Abstand vom täglichen Einerlei und harten Lebensbedingungen zu gewinnen.
Die Hauptdarsteller wirken auch in „unsympathischen“ Rollen authentisch und in gewisser Weise sympathisch, weil man deren Beweggründe kennen lernt und sie dadurch auch verstehen kann.
Für Kinofans mit Geduld und Einfühlungsvermögen ist diese Verfilmung absolut empfehlenswert! Nichts für Leute ohne Sitzfleisch und ohne Interesse für das Leben in früheren Zeiten!